Ein Vulkan namens Chris
Clara - 8;8 Jahre & Chris - 5;4 Jahre
Mal wieder die beiden Großen von Kita und Schule abgeholt. "Groß" trifft ja vor allem auf Chris zu - der ist im letzten halben Jahr enorm gewachsen und sieht aus wie ein Schulkind. Leider nur äußerlich . Seine schlechte Laune, oder das, was ich dafür halte, hält an, er ist ständig unleidlich und neigt zur Aggressivität (wenn auch meist Menschen gegenüber nur angedeutet; getreten werden dann Hecken und Büsche, dauernd wird irgendwas mit Schmackes in der Gegend herumgeworfen...). Clara merkt das wohl auch. Ihre erste Frage: "Müssen wir heute Chris abholen?" (die zweite Frage, kaum auf der Straße: "Wann kommst du wieder?"). Mehrmals hat sie sich auch beschwert, dass Chris immer gemein zu ihr sei. Sie rächt sich natürlich auch auf ihre Art, was nicht gerade zum geschwisterlichen Frieden beiträgt. In ein paar Monaten soll Chris in die Schule kommen - ob das gut wird? Momentan kann ich ihn mir da nicht so gut vorstellen. Er ist zwar in der Lage, sich an Regeln zu halten und gehorcht auch meistens, ist auch intellektuell sicher weit und interessiert genug, aber emotional wirkt er doch oft noch, und zur Zeit besonders, kleinkindhaft. Frustrationen kann er nur ganz schwer verkraften, steigert sich schnell in etwas rein und wird sofort weinerlich. Zum einen in der Interaktion mit Clara (da entstehen dann sinnlose Gespräche wie: Chris: "Du sollst nicht auf das Tramoplin!" - Clara: "Doch, gehe ich jetzt aber!" - Chris: "Dann musst du mir einen Schokoladenkuchen kaufen, nur für mich!" - Clara: "Nein, das kann ich nicht." - Chris: "Dooo-hoooch, musst du aber [heulheul]!"), zum anderen bezüglich Tatsachen, die nunmal überhaupt nicht und von niemandem zu ändern sind. Beispiel: Chris liebt Pusteblumen. Gibt es zur Jahreszeit eher wenig. Auf dem Nachhauseweg findet er doch eine, die aber nicht genügt - es wird auf dem ganzen restlichen Weg nach weiteren Pusteblumen gejammert und gewimmert: "Ich will eine Pusteblume!" - "Chris, die wachsen im Moment nicht so viel." - "Ich will aber eine Pusteblume!!" - "Aber es ist doch keine da!" - "Ich WILL aber!" Das Drama lässt sich noch ins Umermessliche steigern, wenn Clara zuerst eine entdeckt und sie Chris stolz und etwas gemein vorführt. Überhaupt fühlt sich Clara durch Chris' häufiges Gemecker und Getrotze ziemlich animiert, ihn zu provozieren, wo es nur geht. Keine Deeskalationsfähigkeiten, das Kind . Zu Hause ging der Spaß gleich weiter, als Chris den Anschein erweckte, in seinem Zimmer am Schreibtisch ausmalen zu wollen (seine Mutter hatte ihm ein Bild vorgemalt, auf dem viele seiner Bekannten als "Super(wo)man" zu sehen sind - unter anderem auch ich. Chris: "Meine ganze Familie!"). Clara wollte mit mir Kindermonopoly spielen, und da das Spiel in Chris' Schrank ist, blieben wir gleich dort auf dem Fußboden sitzen. Chris wollte aber nicht mitspielen, also: "Ihr sollt nicht in meinem Zimmer sein!" Clara schnappt sich völlig genervt das Spiel und will es in ihrem Zimmer aufbauen, ich erhebe mich und will mitgehen, Chris: "Neiiiiiin! Nur Clara soll weggehen!" Aaaargh! Leider weiß ich nicht, wie die Situation ausgegangen wäre, denn ich hatte schließlich Clara zugesagt, mit ihr zu spielen, eben weil alles so aussah, als ob Chris jetzt lieber alleine malen möchte. Dann kam aber überraschend schon seine Mutter nach Hause, worauf Chris vorschlug, dass Clara jetzt mit Mami spielen solle. Ich habe noch versucht, ihm zu erklären, dass ich jetzt erstmal das Spiel mit Clara spiele und dass er gerne mitspielen kann ("Nein, Clara soll nicht!"). Daraufhin wollte seine Mutter ihn vor der Explosion aus der Situation entfernen und schlug vor, mit ihm zu spielen. Chris: "Dann will ich aber fernsehen!" - und weg war er. Puh!
(Fortsetzung: nach unserem Spiel kommen wir runter, Chris prahlt, er habe ferngesehen - und Schokolade hatter er auch! Clara läuft quasi rot an und wendet sich wutschnaubend an ihre Mutter, sie wolle jetzt gefälligst auch fernsehen und Schokolade, weil Chris durfte ja auch! Ich habe mich dann mal verabschiedet ...)
P.S.: Vielleicht wird es allmählich Zeit für Ursachensuche. Jedes Kind hat ja mal "schlechte" Phasen, aber diese von Chris dauert offenbar an. Meine erste Idee ist, dass er vielleicht irgendwie das Gefühl hat, zu kurz zu kommen - sei es im Vergleich mit Clara, sei es allgemein von der Aufmerksamkeit und dem Zeitbudget seiner Familie her. Er wirkt einfach unzufrieden. Klar, dass er das noch nicht anders äußern kann als auf die revoltierende Art. Aber wirklich beurteilen kann ich das Problem natürlich nicht, es kann ja so viele familieninterne Ursachen geben, die Einfluss auf ihn haben könnten. Oder doch einfach nur die Entwicklung?
Am Fr, 20. Apr, 12:35 über Teilzeit-Mini ehemals: Clara & Chris
Achtung: Psychoanalyse
Oder wie wäre die psychoanalytische Erklärung: Chris ist am Ende der ödipalen Phase - sprich: er will seine Mutter heiraten und seinen Vater loswerden (Ja wirklich - laut Freud! Bitte hier nachlesen: http://de.wikipedia.org/wiki/Ödipuskomplex) - und löst den Konflikt nun durch Identifikation mit dem Angstmachenden: dem Vater. Daher extrem männliches (höhö) Verhalten mit Aggressivität und Bestimmungsdrang, halt "Hosen anhaben wollen" - aus dem weitgehend geschlechtsneutralen Kind wird ein "typischer" Junge. Nunja, klingt immerhin intellektuell herausfordernd - aber bestimmt wurde inzwischen der neurobiologische Hintergrund des Ödipuskomplexes entdeckt und die Formulierung des ganzen Vorgangs etwas entschärft ;)